Reportage

Menschen im BWC und im bustee

Nandita C.

Nandita C. – Leiterin der Abteilung für Soziale Dienste im BWC

Nandita kommt aus einer Familie, der soziale Arbeit sozusagen im Blut steckt. Ihr Großvater war homöopathischer Arzt und Heiler, ihre Mutter eine der ersten Montessori-Lehrerinnen in Indien. In den 70ern war Sozialpädagogik hier noch wenig bekannt. Nandita studierte am fortschrittlichsten Fachinstitut an der Universität Bombay und war dann in verschiedensten Einsatzgebieten der sozialen Arbeit tätig, betreute Drogenabhängige und Straßenkinder. Seit 1992 leitet sie die Abteilung Soziale Dienste im Bustee Welfare Centre. Von Anfang an hat sie mit ihrem Team Ideen und Projekte aus den Bedürfnissen der Communities heraus konzipiert und tatkräftig auf die Beine gestellt. Alle haben ihre Telefonnummer – und rufen sie auch an! Ihr pädagogisches Credo ist klar und hat sich in der BWC-Geschichte bewährt „Man muss liebevoll, aber auch streng sein. Man muss vieles ermöglichen und kann sie auch mal beschenken, aber nicht verwöhnen. Man muss da sein, wenn sie einen brauchen, sie aber auch „laufen“ lassen. Sie müssen aus der Abhängigkeit raus, selbständig werden. Das ist das Ziel.“

 

Rekha C.

Rekha ist Ende 20, sie und ihr Mann kamen als Migrantenarbeiter aus dem Bundesstaat Bihar in ein bustee in der Nähe des BWC. Sie haben vier Kinder: die älteste Tochter ist 14 und lernt im Vocational Training Centre Schneidern, ihre jüngste Tochter ist zwei Jahre alt. Ihr Mann hat eine Anstellung im Wachdienst, aber die Familie kommt nur mit großer Mühe durch.

Täglich steht sie um 4 Uhr auf und versorgt die Kinder. Um 10 Uhr geht sie bis mittags mit der Kleinsten zum „Mutter & Kind Projekt“, eilt dann nach Hause, um für die Kinder und die alte Mutter zu kochen. Zweimal in der Woche besucht sie die Alphabetisierungsklasse im Slum, denn sie will wie ihre älteren Kinder lesen und schreiben können. Für Rekha hat sich viel verändert, seit sie im BWC lernt. Sie sagt, dass ihre ganze Familie dadurch aufgeblüht sei. Sie könne den Alltag viel besser bewältigen, freue sich jeden Tag darauf, zu lernen und sich mit den anderen auszutauschen. Vorher war sie eher allein und fühlte sich sozial isoliert. Ihr Mann war anfangs skeptisch, aber nun „... ist er überglücklich, er kauft mir manchmal Papier für Schreibübungen! Und er erzählt sogar seinen Kollegen von mir!“.

 

Familie B. im Beltala Bustee

Nandita Chakrabarti bei Familie B.

Die Eltern B. kamen vor ca. 20 Jahren aus dem benachbarten Bundesstaat Orissa nach Kalkutta. Das Land der Familie war unter den älteren Brüdern des Vaters aufgeteilt worden und konnte sie deshalb nicht mehr ernähren. Als Tagelöhner ernährt Vater B. seitdem die sechs Familienmitglieder, die Mutter arbeitet täglich als Haushaltshilfe.

Obwohl sie bis heute weder lesen noch schreiben kann, hat sie ihre vier Kinder stets zum Lernen angehalten und unterstützt. Ihre Tochter Santoshi wurde seit dem Kindergarten von einem Paten der Kinderhilfe Indien e.V. gefördert und im BWC betreut. Sie ist nun Mitte 20, und hat nach einem Wirtschaftsstudium an der Universität Kalkutta einen guten Job gefunden. Die begabte Tänzerin lehrt nebenbei klassischen Tanz für junge Mädchen am BWC und engagiert sich als Ehemalige bei vielen Aktivitäten. Auch ihre Geschwister wurden und werden gefördert – die ganze Familie profitiert.

 

Sajan

Ich liebte es in die BWC-Schule zu gehen – ich habe da viele Freunde gefunden und es war so viel besser als zuhause

Sajans Geschichte ist anders als die vieler Slumkinder. Seine Eltern hatten ein kleines Geschäft, das sie wegen der Erkrankung des Vaters aufgeben mussten. Die Familie verarmte und zog ins Slum. Er kam schon im Kindergarten ins BWC und geht nun auf eine renommierte weiterführende Schule, wo er ein Sport-Stipendium erhält. Dadurch braucht er keine finanzielle Unterstützung mehr, aber er ist dem BWC weiterhin verbunden und holt sich hier oft Rat. Sein Traum ist es, professioneller Cricket-Spieler zu werden. Auch seine Familie hat es „geschafft“. Zwei Geschwister gehen auf höhere Schulen, eine ältere Schwester ist inzwischen Lehrerin. Die Familie wohnt jetzt in einer neuen Wohnung, errichtet von einer indischen Hilfsorganisation, auf ehemaligem Slumgelände – es gibt auch Beispiele für sozial verträgliches Redevelopment.

 

Rakhi

Rakhi ist eine „BWC-Veteranin“ – seit ihrer Zeit in der Vorschule lernt und engagiert sie sich hier. Derzeit studiert Chemie, um Lehrerin zu werden und unterrichtet außerdem im „Adult Literacy Program“. Sie ist die erste in ihrer Familie, die zur Universität geht und das erste Mädchen in ihrem Umkreis, das überhaupt so viel erreicht hat. Alle sind darauf sehr stolz.

Sie sagt, dass sie Glück gehabt habe und nun davon etwas weitergeben wolle: „Alles ist besonders im BWC. Du musst dich anstrengen, aber es gibt auch eine sehr intensive Beziehung zwischen Schüler, Lehrern und den Sozialarbeitern. Du kannst sagen was dich bedrückt, sie kümmern sich um dich! Ich habe hier durch viel Liebe und Disziplin meinen Lebensweg finden können.“

 

Santosh und Ashok

Ashok (rechts) und Satyajit (links) sind „success stories“, gehen aber recht unterschiedliche Wege. Beide engagieren sich in der Old Students Association, organisieren Treffen und Aktivitäten in der Community für Kinder, Alte und Bedürftige.

Ashok arbeitet bei IBM, studiert berufsbegleitend für den Abschluss Bachelor of Commerce. Sein großes Ziel ist es, danach den MBA (Master of Business Administration) zu schaffen. Das BWC hat seine Ausbildung zum großen Teil finanziert, außerdem spezielle Weiterbildungen ermöglicht. Ashok ist auf bestem Wege, sich vom Slum in den indischen Zukunftstraum hinaufzuarbeiten. Und er will einiges dafür tun, dass anderen Kindern auch diese Chancen offen stehen.

Satyajit ist Künstler, er hat schon als Vorschulkind originelle Grußkarten für das BWC gemalt, sich dann an der Kunstakademie durchgebissen. Nun gibt er sein Wissen und Können weiter: als Kunstlehrer am BWC, in Workshops mit behinderten Kindern experimentellen Kunst-Camps mit Slumkids: „Es ist unglaublich, wie viel Kreativität es hier gibt. Ich habe gelernt, dass jeder Potential hat – ganz gleich welche Probleme man hat, und wo man herkommt!“